Rede vom 7. Januar 2024: Kampf gegen die moderne Welt

Corinna Tartarotti

Diese Rede habe ich anlässlich des 40. Jahrestages des Anschlags auf den „Club Liverpool“ im Rahmen der offiziellen Feierlichkeiten der Stadt München gehalten. Ich habe sie minimal geändert, um sie besser lesbar zu machen.

Liebe Angehörige und liebe Gäste, 

(…)

In der Vorbereitung auf die heutige Rede habe ich mir noch einmal meine Notizen vorgekommen und bin dabei auf den Vorfallsbericht zum Anschlag auf das Liverpool im bayerischen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 1984 gestoßen, dort steht: 

„Die Ermittlungen zum Brandanschlag auf eine Diskothek in München am 8. Januar ergaben, daß sich die Tat wohl in erster Linie gegen den „Sittenverfall“ richtete und etwaige rechtsextreme Motive von untergeordneter Bedeutung waren.“

Ich stolpere über dieses Zitat immer wieder, weil es die über 40-jährige Kontinuität zeigt, in der sozialdarwinistische, klassistische und im weiteren Sinne antifeministische Ideologiefragmente bei Sicherheitsbehörden häufig nicht als rechte Ideologiefragmente anerkannt und viele rechte Taten so entpolitisiert wurden und werden. Diese (bewussten) Fehleinschätzungen führen dazu, dass ein öffentliches Gedenken an die Opfer damit oft verhindert wird. 

Kontinuität der Entpolitisierung

Die Gründe warum wir so wenig vom Rechtsterrorismus der 80er Jahre wissen sind vielfältig, ich möchte mich jedoch auf die Kontinuität der Entpolitisierung von Taten wie denen der „Gruppe Ludwig“ konzentrieren die bis heute aus dem Rahmen dessen fallen, was gemeinhin als extrem rechts anerkannt wird. Ich möchte aufzeigen, warum der Kampf gegen den sogenannten Sittenverfall entgegen der Einschätzung der Sicherheitsbehörden sehr wohl eine politische Dimension hat und zeigen, warum zivilgesellschaftliches Engagement darum eine so wichtige Rolle beim Erinnern an diese Taten und ihre Opfer spielt. 

Die Opfer der „Gruppe Ludwig“ waren Homosexuelle, ein Sinto, vermeintlich vom richtigen Weg abgekommene Geistliche, eine Sexarbeiterin namens Alice Maria Beretta aus Vicenza, Drogennutzer, wohnungslose Menschen – oder solche, die dafür gehalten wurden, wie der 17-jährige Luca Martinotti, der in Verona ermordet wurde. Die Opfer waren Besucher*innen von Orten wie dem Club „Liverpool“ in München in dem die Täter heute vor 40 Jahren das Feuer legten, das Corinna Tartarotti das Leben kostete und mehrere Menschen verletzte und traumatisierte.

Obwohl es auf den ersten Blick nicht so scheint, diese Opfer und die Anschlagziele haben etwas gemein und der Kampf  der „Gruppe Ludwig“ gegen den vermeintlichen Sittenverfall hat sehr wohl eine politische Dimension, was sprachwissenschaftliche Analysen ihrer Bekennerschreiben und weitere Recherchen z. B. von Eike Sanders und Thomas Porena zeigen. Sie belegen, dass die Taten der „Gruppe Ludwig“, deren Mitglieder sich selbst als Elite sahen und von christlicher und neonazistischer Moral getrieben waren, Botschaftstaten verübten, die eine extrem rechte Vorstellung von Sexualmoral und „Reinheit“ kommunizieren sollten.

Der gesellschaftliche Aufschrei blieb aus

Die Gruppe entstand in einer Zeit, die einerseits geprägt war von gesellschaftlicher Liberalisierung unter anderem angetrieben durch die sogenannte sexuelle Revolution. Und andererseits von den gewaltvollen sog. bleiernen Jahren im Italien der 1960er, 70er und 80er Jahre. Ihre Ursprünge finden sich zudem im italienischen Neofaschismus, in dem Menschen wie die späteren Opfer der „Gruppe Ludwig“ als Bedrohung für die sogenannte Volksgemeinschaft ausgemacht wurden und daher vernichtet – also ermordet werden sollten. Ihren Kampf gegen die moderne Welt und den vermeintlichen Sittenverfall führte die „Gruppe Ludwig“ nicht einfach mit Pistolen, sondern mit „Eisen und Feuer“. Sie ernannten sich selbst zum Gesetzgeber und Vollstrecker, der sich dazu berufen sah, die Welt von jenen Menschen und Orten zu befreien – ja zu reinigen – die für sie Symbole der Dekadenz und Moderne waren. Weitere Hinweise auf die extrem rechten Motive der Täter liefern die Bekennerschreiben, in denen sie ihre Opfer verhöhnen und erniedrigen. 

Trotz dessen, trotz der Brutalität der Taten und den mindestens 15 Toten und vielen Verletzen blieb der gesellschaftliche Aufschrei beinahe völlig aus. 

Eike Sanders sagte in einem Interview, dass man Taten wie die der „Gruppe Ludwig“ immer auch in der Wechselwirkung zu gesellschaftlichen Debatten betrachten muss. Im Italien und Deutschland der 1970er und 80er wurden in Bezug auf Homosexualität, Sittlichkeit und Sexualmoral Weichen gestellt. Von einer starken queeren Community und wirklicher Gleichberechtigung konnte damals aber noch nicht die Rede sein.

Hass der lange wirkt

Als Feministin und Antifaschistin beschäftigt mich in der Auseinandersetzung mit dem Anschlag auf das „Liverpool“ natürlich immer auch die Frage, wie Sicherheitsbehörden, Politik und wir als Gesamtgesellschaft solche Anschläge künftig verhindern können. Wenn man mich heute fragen würde, ob es mich überraschen würde, wenn morgen hier in München ein ähnlicher Anschlag wie der vor 40 Jahren passiert, wäre meine Antwort nein. 

Es würde mich nicht überraschen, weil ich in meiner Arbeit täglich sehe, dass Taten mit Genderkomponente weiterhin entpolitisiert werden, weil ich sehe, wie zäh gleichstellungspolitische Auseinandersetzungen um Geschlecht oder Reproduktion verlaufen, weil ich sehe, wie viel Hass sich aktuell gegen Transpersonen richtet oder wie viele bspw. beim Thema Sexarbeit ihre rigide Sexualmoral wie eine Monstranz vor sich hertragen. Wir müssen leider anerkennen, dass die menschenverachtende Ideologie der „Gruppe Ludwig“ nicht weg ist. Im Gegenteil – die extreme Rechte und neofaschistische AkteurInnen haben Einzug in die Parlamente erhalten, weil ihre Positionen Anklang finden. 

Natürlich müssen wir den Blick auf die extreme Rechte schärfen. Aber wenn wir nur den extrem rechten Rand im Blick haben, dann übersehen wir eine als gut imaginierte Mitte, in denen die hasserfüllte Ideologie und Positionen der extremen Rechten auf fruchtbaren Boden fallen.

Die Auswirkungen dieses Hasses spüren wir bis heute. Als ich im Mai letzten Jahres bei der Gedenkfeier anlässlich des 40. Jahrestags des Anschlags auf das Eros Sexy Center in Mailand war, wurde mir ein weiterer Aspekt rund um die Mord- und Anschlagsserie der Gruppe Ludwig wieder einmal schmerzlich bewusst. Die Namen der sechs Toten und 32 Verletzten werden auf der Gedenkstele, die am Tatort in der viale Monza angebracht wurde, auf Wunsch der Hinterbliebenen nicht erwähnt. Die Nichterwähnung zeigt, wie sehr gesellschaftliche Normen und Vorurteile bis heute wirken und am Ende auch die Erinnerungsarbeit erschweren. Statt den Opfern und Hinterbliebenen das sichere Gefühl zu geben, dass sie geliebt, respektiert und Teil unserer Gesellschaft sind, verdammen diese Normen und Vorurteile sie bis heute zum Schweigen. Die Scham vereinzelt, retraumatisiert, hindert am Trauern und verunmöglicht die Verarbeitung – und Aufarbeitung dieser Taten. 

Erinnern ist keine jährliche Gedenkfeier. Erinnern bedeutet, Tag für Tag dafür zu arbeiten, dass diese schrecklichen Taten nicht mehr passieren. Das bedeutet an die Wurzel der Probleme zu gehen, Dinge beim Namen zu nennen und klar zu benennen, dass der rechte Hass nicht von irgendwelchen Rändern kommt, sondern aus allen Teilen der Gesellschaft. Daher möchte ich abschließend auch einen Dank an einige Menschen richten, die diesen steinigen Weg gehen, die keine Kompromisse eingehen, die am Ende eh nur ein schales Gefühl zurücklassen: Danke an Menschen wie Robert Andreasch, Eike Sanders, Thomas Porena, Alessandra Coppola aus Mailand und natürlich die Aktivistinnen der Antisexistischen Aktion.

Vielen Dank! 

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